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Presseschau Dezember 2000
"Magdeburg - eine Fußballstadt"
Zum morgigen Knüller im Viertelfinale des DFB-Pokals zwischen dem 1.FC Magdeburg und dem FC Schalke 04 (Anpfiff im Grubestadion 20.30 Uhr Uhr) führte Volksstimme-Sportredakteur Klaus Kahmann mit Schalkes Manager Rudi Assauer das folgende Gespräch.
Volksstimme: Werden bei Ihnen noch Erinnerungen an frühere
Aufeinandertreffen mit dem 1.FC Magdeburg wach? Und wenn ja, welche?
Assauer: Ich habe selbst nie gegen den 1.FC Magdeburg
gespielt. Erinnere mich aber gut an unseren 5:1-Sieg im Freundschaftsspiel am
23.Juli 1998. Außerdem habe ich kurz nach der Wende mit Wolfgang "Maxe"
Steinbach einen der bekanntesten Magdeburger Fußballer nach Oldenburg
geholt. Wir wissen auch, das wir in und um Magdeburg viele Fans haben, die kürzlich
zu einem Regionaltreffen im brandenburgischen Belzig kamen. Wir hoffen, dass
sie uns auch am Mittwoch lautstark unterstützen werden.
Volksstimme: Wie sehen Sie den Fußball in
Ostdeutschland?
Assauer: Viele Fußballer, über die wir
in der Bundesliga derzeit reden, haben eine klassische Ausbildungan den damaligen
Kinder- und Jugendsportschulen im Osten genossen. Da wurden gute Grundlagen
gelegt, die heute nicht zu übersehen sind. Ein Beispiel dafür, welche
Klasse da aus dem Osten kommt, ist für mich Michael Ballack, der auf dem
besten Weg zu einem internationalen Star ist. Wir sollten den Schulen aber heute
nicht nachtrauern, sondern nach ihrem Vorbild ähnliche Einrichtungen in
ganz Deutschland schaffen. Viele Westvereine haben ja schon ihre Fußballschulen
mit Internaten ins Leben gerufen. In Gelsenkirchen haben auch wir solch eine
Fußballschule.
Volksstimme: Wie schätzen Sie die Zukunft
des 1.FC Magdeburg ein?
Assauer: Was Magdeburg betrifft, so war das für
mich schon immer eine Fußballstadt und wird das auch in Zukunft so bleiben.
Ich möchte da den Fans unbedingt Mut machen. Ihr Verein ist auf dem besten
Weg, an gute alte Traditionen anzuknüpfen, wieder im deutschen Fußball
ein Wörtchen mitzureden. Wie gesagt ich habe selbst nicht gegen den FCMgespielt,
habe aber 1977 - damals war ich noch in den Diensten von Werder Bremen - den
FC Magdeburg im Gelsenkirchener Parkstadion bei seinem 3:1-Sieg im Europapokal
gesehen. Ich war von den Leistungen und dem spielerischen Können eines
Sparwasser, Pommerenke, Hoffmann, Steinbach, Streich - und wie die Asse von
damals alle hießen - sehr angetan.
Volksstimme: Was fällt Ihnen spontan zum Thema
Magdeburg und Fußball ein?
Assauer: Ich sagte ja schon, dass Magdeburg für
mich eine Fußballstadt ist. Bundesliga-Schiedsrichter Bernd Heynemann,
der ja auch schon bei der Weltmeisterschaft in Frankreich gepfiffen hat, oder
Dr. Hans-Georg Moldenhauer, der Vizepräsident des Deutschen Fußball-Bundes,
sind Persönlichkeiten des deutschen Fußballs, zu denen ich sehr gute
Kontakte habe.
Am 19.Oktober 1977 spielte der 1.FCM gegen die Elf aus Gelsenkirchen
"Aktion Sieg": Stasi kaufte für 27300 Mark Karten für Schalke-Spiel
Der 1.FC Magdeburg, der am Mittwoch gegen den FC Schalke 04 antritt, spielte 1977 im Fußball-Europapokal zweimal gegen die Elf aus Gelsenkirchen. Das Ministerium für Staatssicherheit überwachte diese Spiele mit der Aktion "Sieg". Die Gauck-Behörde hat darüber mehr als 200 Seiten in den Archiven entdeckt, die erstmals veröffentlicht werden.
Von Wolfgang Schulz
Magdeburg. Der viel erzählte
DDR-Witz "Wird das Stadion voll? Mit Sicherheit!" hatte einen hohen Wahrheitsgehalt.
Unter den 35000 Zuschauern beispielsweise, die am 19.Oktober 1977 im Ernst-Grube-Stadion
das Uefa-Cupspiel des 1.FC Magdeburg gegen Schalke 04 verfolgten, waren über
7000 Sicherheitskräfte. Das geht aus Unterlagen des Ministeriums für
Staatssicherheit hervor, die der Volksstimme von der Gauck-Behörde zur
Verfügung gestellt wurden.
Mit der Aktion "Sieg" hatte die Stasi auf Befehl 24/77
von MfS-Minister Mielke die "politisch-operative Sicherung" des Spiels zu gewährleisten.
Durch "wirksame vorbeugende operative Maßnahmen" sollten "alle feindlich-negativen
Handlungen" rechtzeitig erkannt und verhindert werden.
Von der Magdeburger Bezirksverwaltung wurde die Aktion
"Sieg" stabsmäßig vorbereitet. Befürchtet wurde, dass einheimische
Fans Sympathien für die Schalke-Elf bekunden könnten. Außerdem
sollte es zu keinerlei Verbrüderungen zwischen den FCM-Anhängern und
den 1551 Touristen aus Gelsenkirchen kommen, die mit 33 Bussen angereist waren.
Zu diesem Zweck wurde das Stadion in verschiedene Sicherungsabschnitte eingeteilt,
für die jeweils hohe Offiziere des MfS verantwortlich waren.
Bereits ab 12 Uhr wurden am 19.Oktober die Sicherheitskräfte
in das Stadion (Sicherheitsbereich I) geschleust, obwohl der Anpfiff erst am
Abend erfolgte. Dazu gehörten insgesamt 3690 Mann, wovon die Kampfgruppen
mit 2000 Angehörigen den Hauptanteil stellten. Außerdem gehörten
dazu Einsatzkräfte von der Polizei, den Grenztruppen, der Zollverwaltung
sowie 250 Ordner des FCM und des SCM. Die Männer hatten zum größten
Teil Trainingsanzüge an. Die hauptamtlichen Stasi-Leute mussten laut Befehl
grüngelbe Trainingsanzüge tragen, die sie noch von der Aktion "Lebensfreude"
(Sportfest Leipzig) im Kleiderschrank hatten.
Weitere 3310 MfS-Getreue waren in den verschiedenen Bereichen
eingesetzt. Das waren vor allem 1460 inoffizielle Mitarbeiter (IM), 120 MfS-Mitarbeiter
aus anderen Bezirken und 1730 MfS-Offiziere aus den Kreisen des Bezirkes Magdeburg.
Damit die Sicherheitskräfte unauffällig in das Stadion gelangen konnten,
wurden dem MfS vom 1.FCM 4922 Eintrittskarten im Wert von 27300,95 Mark in Rechnung
gestellt. Hauptamtliche MfS-Leute erhielten auf ihre Dienstausweise Zutritt.
196 Flaschen Schnaps durften nicht ins Stadion
Die MfS-Abteilung XX, die für die Aktion zuständig
war, forderte am 12.Oktober 1977 alle Kreisdienststellen auf, "jugendliche IM
zu beauftragen, das Spiel zu besuchen". Diese IM sollten besonders auf den Inhalt
von Sprechchören, Losungen usw. achten. "Von wesentlicher Bedeutung ist
dabei die Personifizierung von einzelnen jugendlichen Zuschauern bzw. Gruppen",
hieß es in der "Auftragserteilung".
Wie aus dem Abschlussbericht zur Aktion "Sieg" hervorgeht,
verlief der Tag ohne "bedeutsame Vorkommnisse". Es kam zu keinen Schlägereien.
Vor dem Stadion waren die Fans kontrolliert und ihnen 196 Flaschen Schnaps,
207 Flaschen Bier und 388 sonstige Flaschen" abgenommen worden.
Tagsüber waren elf Jugendliche aus Halle, Leipzig
und Weimar vorläufig festgenommen worden, weil sie vor dem Interhotel "International"
Hochrufe auf Schalke 04 ausgebracht hatten. Am Abend versuchten zwei angetrunkene
Jugendliche aus Stendal über den Zaun ins Stadion zu gelangen. Auch sie
wurden der Schutzpolizei "zugeführt".
"Die Fans aus Calbe/Saale grüßen Schalke 04"
In der Stadt und im Stadion selbst wurden vereinzelt Tarnsparente
mit den Aufschriften "Wittenberg grüßt Schalke", "Die Fans aus Calbe/Saale
grüßen Schalke 04", "Wir grüßen den Berühmtesten
der Welt - Fischer" hochgehalten. "Plakat und Träger wurden fotografisch
dokumentiert", heißt es dazu im Abschlussbericht. Danach waren die Transparente
von Sicherheitskräften entfernt worden. Neben dem Ernst-Grube-Stadion waren
die Grenzübergangsstelle Marienborn, das Interhotel, die Stadthalle (Verpflegungsstelle
für die Touristen aus Gelsenkirchen) und der VEB Harztourist Almsfeld (Ausflugsobjekt
für Schalker Fans) unter besonderer Beobachtung der Stasi.
Im "International", wo die Spieler und Offiziellen des
FC Schalke untergebracht waren, wurden alle Gäste rund um die Uhr bewacht.
Besonderes Objekt war die "Juanita"-Bar, wo es zum Leidwesen der Stasi enge
Kontakte zwischen Angehörigen von Schalke, DDR-Fußballfans und einigen
"weiblichen Gästen" kam, wobei auch Geld getauscht worden sei.
Im Schlussbericht wird deshalb gefordert, in der Halle
des Hotels eine Video-Überwachungskamera zu installieren und: "In der Bar
des Interhotels sind mehr IM zielgerichtet zum Einsatz zu bringen."
Zu einem Ärgernis in der Bevölkerung wurde vor
dem Spiel gegen Schalke, wie auch vor dem Spiel gegen Bayern München, der
Kartenvorverkauf. Zum einen kam von den 35000 Eintrittskarten nur ein Bruchteil
in den offiziellen Verkauf, zum anderen wurden die Karten vorrangig an "verdienstvolle
Genossen" abgegeben.
Begehrte Karten gab es nur für Funktionäre
IMS "Günter Braun" aus dem Armaturenwerk Magdeburg teilte
seinem Führungsoffizier am 10.November 1977 mit, dass es wegen des Kartenverkaufs
im MAW "erhebliche Diskussionen" gegeben habe. "Der Kartenverkauf wurde für
die Dauerbezieher sowie den freien Verkauf vormittags durchgeführt, so
das in einer Zeit, in der jede Arbeitskraft gebraucht benötigt wurde, viele
Kollegen ihren Arbeitsplatz verließen, um an die Karten zu kommen." Leider
sei diesmal keine Sammelbestellung organisiert worden.
"Außerdem wurde durch die BPO (Betriebsparteiorganisation
der SED, d. Verf.) festgelegt, daß das kleine Kartenangebot nur für
gesellschaftlich tätige Funktionäre ausgegeben wird." Somit erhielten
in erster Linie APO-Sekretäre und AGL-Vorsitzende die begehrten Karten,
obwohl bei diesen nicht in jedem Fall Interesse am Spiel bestand, während
echte Fans sich vergeblich bemühten, schreibt der IM. Besonders erbost
sei die Belegschaft über einen APO-Sekretär gewesen, der eine Karte
erhalten habe, die er am Spieltag zur Verfügung stellte, da er kein Interesse
habe. "Gleichzeitig stellte er jedoch den Antrag für den Besuch des Rückspiels
in Gelsenkirchen/BRD."
Außerdem, so heißt es in dem Spitzelbericht
weiter, sei wenig Verständnis aufgebracht worden, "daß in der Zeit
der Lösung wichtiger Produktionsaufgaben die Mitglieder der Kampfgruppe
abgezogen wurden, um in Zivil das Interhotel vor dem Ansturm der Fußballfanatiker
zu schützen". Das sollte doch die Polizei machen.
599 Touristen fuhren nach Gelsenkirchen
Der Schlussstrich unter die Aktion "Sieg" wurde nach dem Rückspiel
am 2.November 1977 "auf Schalke" gezogen. An diesem Tag fuhren 599 Touristen
(400 aus Magdeburg) in einem Sonderzug nach Gelsenkirchen. Sie waren in den
MfS-Dienststellen nach einem vorgegebenen Fragenspiegel "handverlesen" worden.
Zu den "Fans" gehörten Mitglieder der SED-Kreisleitungen,
der DTSB- und GST-Vorstände sowie "Genossen, die schon als Touristen im
NSW eingesetzt" waren. Fast die Hälfte der "Touristen" waren inoffizielle
Mitarbeiter der Stasi. Sie wurden in 6er Gruppen eingeteilt, wobei die IM Bewachungsfunktion
hatten.
Unmittelbar nach dem Spiel im Parkstadion Gelsenkirchen
wurden die DDR-Fans mit Bussen zum Bahnhof gebracht. Der Zug fuhr um 0.27 Uhr
jedoch mit einer Stunde Verspätung ab, weil drei "Fans" nicht pünktlich
da waren. Sie hatten sich verlaufen, bzw. einer von ihnen war angeblich in einer
Toilette im Stadion eingeschlossen worden. Schließlich aber kamen alle
599 wieder in Magdeburg an.
Die Spiele endeten übrigens 4:2 und 3:1 für
Magdeburg, doch die Ergebnisse sind an keiner Stelle auf den über 200 Seiten
der Aktion "Sieg" erwähnt.
Welt
am Sonntag vom 17.12.2000
Ein Feuerwerk der Magdeburger
Nostalgie
Der Pokalschreck empfängt Schalke und verdrängt aktuelle Probleme von Marc Sandmann
Die T-Shirts sind bereits bedruckt. Auf der
Vorderseite steht: “Es ist keine Schande, gegen uns zu verlieren.“ Den Rücken
ziert der Spruch: „Der nächste bitte... „ Schalke also.
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Letzte Aktualisierung Dienstag, 19.12.2000 18:35 |
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