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Pressestimmen 3


Berichte der LVZ vom 03.11.

Magdeburg macht Osten stolz und zehn Millionen sahen zu

Leipzig (Eig. Ber./sid). Viertligist 1. FC Magdeburg lässt im Osten die Korken knallen, beim deutschen Fußball‑Rekordmeister FC Bayern München herrscht dagegen nach einem "Ausflug" in die neuen Bundesländer wieder einmal Katerstimmung. Bayern Coach Ottmar Hitzfeld sprach von einer "Blamage" des Pokalverteidigers, in der Bundesliga hatte seine Mannschaft schon bei Hansa Rostock und Energie Cottbus die Punkte gelassen. Fast zehn Millionen Zuschauer hatten das Bayern‑Aus in der zweiten Runde des DFB‑Pokals am Mittwochabend live in der ARD verfolgt. Diesen Spitzenwert gab es beim Elfmeterschießen, im Schnitt schauten 7,18 Millionen zu. Dies entspricht einem Marktanteil von 26,1 Prozent.

Wir-Gefühl

Von PHILIPP v. WILCKE
Das war Balsam für die Ost-Seele: Viertklassige Magdeburger Kicker zogen den Weltstars von Bayern München die Lederhosen aus. Fast zehn Millionen erlebten die Fußball-Sensation live im TV, und der grenzenlose Jubel ertönte nicht nur im Stadion, sondern auch in vielen ostdeutschen Wohnzimmern und Kneipen. "Wir sind wieder wer", hieß es nach dem uner- I warteten deutschen WM-Sieg 1954 - damals freilich unter ganz anderen Umständen. Der viel zitierte Ausspruch von einst trifft aber auch heute den Nagel auf den Kopf. Denn die Begeisterung für das Wunder von Magdeburg erfasste nicht nur Fußball-Fans und war nicht allein der Auferstehung des ostdeutschen Traditionsclubs geschuldet, sondern war vielmehr Ausdruck eines ungebrochenen Ossi-Wir-Gefühls: Die Schwachen, Unterschätzten halten zusammen und sind am Ende die Starken.
Üble Klischees von DDR-nostalgischer Gefühlsduselei - so mag sich mancher intellektuell angewiedert fühlen. Und natürlich wäre es primitiv, deutsch-deutsche Befindlichkeiten zehn Jahre nach der Einheit allein an einem Fußballspiel festzumachen. Doch wer tut das schon? Der Fußball ist vielmehr die Bühne, auf der nach dem Abstieg auch immer mal wieder ein Aufstieg zu sehen ist, so wie es sich viele hier wünschen: für den Osten insgesamt, für ihre Firma und den Verein und oft auch für sich selbst. Diese Aufstiegssymbolik verkörperte in jüngster Zeit vor allem Energie Cottbus. Und wenn es darum geht, aus den schlechten Startplätzen nach vorn zu kommen, darf es ruhig noch mehr Energie sein.
Obwohl der demolierte Mannschaftsbus der Bayern in Magdeburg ein unnötiges Ärgernis ist - hinter dem Fußballjubel überzogenen ostdeutschen Fanatismus zu erblicken, ist übertrieben. Gerade Bayern München hat auch hier zu Lande viele Fans, die es zu schätzen wissen, dass sie statt DDR- Oberliga und FDGB-Pokal nun Bundesliga und DFB-Pokal erleben können. Dies ist längst Teil der deutsch-deutschen Normalität. Es kann doch nicht falsch sein, wenn Ost-West-Differenzen wie auch andere regionale Unterschiede - etwa zwischen München, dem Ruhrgebiet und Hamburg - im Wettstreit auf dem Fußballfeld münden. Nachholebedarf hat der Osten hier wie überall. Und, dass die, die für ihn kämpfen, vor allem Profis von außerhalb sind, zeigt, wie das Regionale im Europäisch-lnternationalen aufgeht.
So können wir uns über das Fußballwunder an der Elbe im Prinzip uneingeschränkt freuen. Dank sei den übersättigten Bayern für ihre profihafte Zurückhaltung und den forschen Magdeburgern für ihre schlaue Taktik. Die Chancen nutzen - das haben sie uns gezeigt.

Siegesfeiern, viel Geld und ein neues Image

Magdeburg (dpa). Nach der Pokal-Sensation gegen den großen FC Bayern stand Fußball‑Magdeburg Kopf. Während um 0.38 Uhr die Dornier mit einer verstimmten und ver­schnupften Bayern-Elf an Bord vom Flugplatz Cochstedt in Richtung München startete, tanzten im VIP-Zelt des Magdeburger Grubestadions die Pokal‑Helden ihre Sieger‑Polonaise und feierten bis morgens um zwei ausgelassen den Triumph. Noch lange nach Spielschluss fuhren Autos durch Magdeburgs Innenstadt, aus denen Fahnen und Schals in den blau‑wei­ßen Vereinsfahnen flatterten. In zahlreichen Gaststätten wurde mit Inbrunst die Fußballhymne angestimmt, in der den Bayern die Lederhosen ausgezogen werden. Magdeburgs Stadtoberhaupt Polte war mit dem Ausgang des Spiels rundherum zufrieden. "Ein immenser Imagegewinn für unsere Stadt", freute sich der Oberbürgermeister. Der sensationelle Spielausgang war zugleich eine Bestätigung für Poltes hellseherischen Fähigkeiten, denn im Programm zum Pokalschlager hatte er verkündet: "Mein Tipp lautet 2:2 in der regulären Spielzeit. Der 1. FCM kommt aber über die Verlängerung, gegebenenfalls nach Elfmeter‑Schießen weiter." Er konnte gut damit leben, dass es nach 90 Minuten "nur 1:1 stand.
Magdeburgs Trainer‑Legende Heinz Krügel strahlte mit den 26 000 Fans um die Wette. "Da wird einem warm ums Herz", sagte der 79-jährige, der 1974 den 1. FC Magdeburg als Trainer zum Gewinn des Europacups der Pokalsieger führte und im Herbst des gleichen Jahres mit den Magdeburgern dem FC Bayern im Wettbewerb der Landesmeister im deutsch-deutschen Duell 2:3 und 1:2 unterlag.Gestern Vormittag begann indes für die Pokal-Helden wieder der Ernst des Oberliga-Lebens. Mit schweren Beinen, wenngleich strahlenden Gesichtern absolvierten die Kicker aus Sachsen‑Anhalts Landeshauptstadt ihr Lauftraining, bevor in der Sauna das Siegerbier aus der Nacht zuvor ausgeschwitzt wurde.Für die Spieler zahlt sich der Erfolg in barer Münze aus. Denn der Mannschaftsrat hatte vor der Partie mit dem Präsidium eine Siegprämie aus gehandelt. Diese sei, so FCM-Präsident Rüdiger Deumelandt, dem Erfolg angemessen. Es soll sich dabei um 100000 Mark handeln.Auch für den dreifachen DDR‑Meister war das Weiterkommen ein finanzieller Volltreffer. Dank Live-Übertragung, Ticket‑Einnahmen und kurzfristigem Wechsel des Trikotsponsors kassierte der krisengeschüttelte Verein, der gerade ein Insolvenzverfahren überstanden hat, eine Million Mark.

"Gekämpft wie die Wahnsinnigen"

Viertligist blamiert Nr. 1 der Klub‑Weltrangliste / Hitzfeld stinksauer, Kahn sucht Schuld beim Schiri

Magdeburg. Wer den Schaden hat, braucht für den Spott nicht zu sorgen. "Ich werde beim DFB beantragen, den Pokal gleich zum nächsten Spiel mit nach Magdeburg zu bringen. Gegen wen sollen wir jetzt noch verlieren?", lachte Hans Georg Moldenhauer, früher Torwart beim FCM, jetzt DFB‑Vize und Chef des Nordostdeutschen Verbandes. Trainer‑Altmeister Heinz Krügel empfahl den Bayern nach dem Debakel beimViertligisten gar eine Gehaltskürzung: "Von einem Deutschen Meister    erwarte ich mehr Einsatz und Kampfgeist, da fehlte das Feuer.
Auch Ottmar Hitzfeld wusste nur zu gut, dass sich seine Mannschaft in der Fußball‑Provinz wieder einmal kräftig blamiert hatte. Wie schon 1990 in Weinheim und 1994 in Vestenbergsgreuth schied der große FC Bayern, derzeit Nummer eins der Klub‑Weltrangliste, im Pokal bei einem Amateurverein aus. "Ich bin maßlos enttäuscht,  wir konnten uns nie durchsetzen. Dabei hätte eine normale Leistung gereicht", knurrte Hitzfeld, nicht ohne den Magdeburgern zu gratulieren: "Sie haben Fußball‑Geschichte geschrieben."
Fast zehn Millionen Zuschauer waren , in der ARD live dabei, als FCM‑Torwart Miroslav Dreszer die Elfmeter von Jens Jeremies und Giovane Elber parierte und Dirk Hannemann den letzten Strafstoß zum "historischen" 5:3‑Erfolg (1:1, 1:1) versenkte. "Nach der Verlängerung hatten wir doch schon gewonnen", meinte Dreszer, "daher hatten die Bayern beim Elfmeterschießen weiche Knie." In den l20 Minuten zuvor war kein Klassen‑Unterschied zu erkennen, wohl aber eine riesige Kluft bei Moral und Willenskraft. "Kompliment an Magdeburg, die haben gekämpft wie die Wahnsinnigen", lobte Bayern‑Manager Uli Hoeneß ‑ und verkniff sich einen Kommentar zur eigenen Millionen-Truppe, die lustlos bis behäbig ihr Pensum abspulte.
Denn für die Bayern lag Magdeburg irgendwo zwischen Bremen, Paris, Trondheim und London, irgendwo zwischen (wichtiger) Bundesliga, (noch wichtigerer) Champions League und (keinesfalls unwichtiger) WM-Qualifikation. Was für die Elbestädter das Spiel des Jahres bedeutete, war für die Münchner eine lästige Pflichterfüllung im ungeliebten Pokal, in dem sie nur verlieren können. Vielleicht wollten ihr einige nicht nachkommen, vielleicht verzockte sich Hitzfeld auch beim Rotations-Roulette. Die vom Coach für die nächste Saison bereits ausgemusterten Thomas Strunz und Michael Wiesinger gewannen kaum einen Zweikampf, Alexander Zickler und Paulo Sergio blieben blass. Als Hasan Salihamidzic, Jeremies und Elber kamen, war die Partie schon verfahren. Roque Santa Cruz langweilt sich auf der Ersatzbank, während Mehmet Scholl und Thomas Linke erkältet daheim vorm Fernseher saßen. "Wer bei uns auch spielt, er muss in Magdeburg gewinnen können", giftete Hitzfeld angesichts seines Super-Kaders, zu dem nächste Woche auch wieder Effenberg stoßen wird.
Oliver Kahn suchte die Schuld ohnehin woanders. "In allen strittigen Situationen entscheiden die Schiedsrichter gegen uns, auch hier haben wir in der Verlängerung einen klaren Elfmeter nicht bekommen", schimpfte der Nationaltorwart und dürfte damit die Spaltung der Fußball-Nation in Bayern-Fans und Bayern-Gegner vertieft haben. Fakt ist: Der Osten liebt die Münchner, weil sie den bedürftigen Rostockern und Cottbusern jeweils drei Punkte überließen und den seligen Magdeburgern das Achtelfinale. Sie sollten öfter kommen. Wir spotten auch nicht mehr. Steffen Enigk


 

Letzte Aktualisierung Freitag, 03.11.2000 21:33